Wie im ersten Teil angekündigt, stelle ich eine kleine Auswahl von Methoden vor, mit denen Willkürherrschaften wie bspw. der Nationalsozialismus funktionierten bzw. funktionieren. Eine Übersicht als auch eine Gedächtnisstütze für die verschiedenen Techniken, die im Text ausführlicher erklärt sind, erhältst du von den fiktiven Nachrichtenmeldungen auf den Bildern.
Angst schüren
Angst verursacht einen Tunnelblick und schaltet das vernünftige Denken aus. Ein primitiveres Denken nimmt überhand. Der Grund: Es ist das evolutionsgeschichtlich ältere Verhalten. Die frühen Säugetiere konnten bei Angst nicht überleben, wenn sie versuchten, vernünftig zu denken, sie hatten sonst keine Zeit, sich gegen Gefahren zu wehren. Wenn sie einem Löwen begegneten, mussten sie flüchten oder kämpfen und blitzschnell entscheiden, ob das eine oder das andere. Bei primitiveren Tieren ist das von Affekten gesteuerte Verhalten das vorherrschende, beim Menschen existiert es parallel zum vernünftigen Denkverhalten. Bei starken Affekten wird das vernünftige Verhalten ausgeschaltet, der Mensch orientiert sich dann an Heuristiken, simplen Denkschablonen, die in wilder Natur sicherstellen, dass in sehr kurzer Zeit eine verhältnismäßig gute Entscheidung getroffen werden kann. Das heißt, eine Entscheidung, die dafür, dass nur sehr kurz darüber nachgedacht wurde, nicht allzu miserabel ist. Wenn dieselben Affekte in unserer modernen Welt vorkommen, stimmen häufig die Heuristiken nicht mehr, weil sie nicht passend zur modernen Welt entstanden sind. Ganz besonders dann, wenn es der Plan manipulativer Interessengruppen ist, diese Affekte gezielt herbeizuführen und dazu zu instrumentalisieren, eine vorkalkulierte Entscheidung dieser Menschen zu erzielen.
Wenn Angst geschürt wird ohne Hinweise darauf, wie man sich verhalten soll, führt es zum Einfrieren des Verhaltens. Wenn aber die Verhaltensvorgaben gleich mitgeliefert werden, dann führt es dazu, dass das Verhalten unkritisch an die Verhaltensvorgaben angepasst wird (Goldstein, Martin, Cialdini; Seite 55)
Aus Angst wird häufig Hass. Angst in Kombination mit Hass wirkt sich dann noch manipulativer aus (Geranandi, Klevesath, Wellman. In Welt der Wunder 11/16: Wie manipuliert man ein ganzes Volk. Seite 23)
Im Nationalsozialismus hatten die Menschen Angst vor Juden und dem Kommunismus, davor, dass die Volksgesundheit besudelt wird, oder dass sie von Bolschevisten ausgeweidet würden.
Es könnte auch funktionieren, wenn den Menschen von einer nach Europa gekommenen, giftigen Spinnenart erzählt würde und mit gruseligen Bildern in sämtlichen Medien wiederholt die Vorstellungen gruseliger Folgen konkret empfindbar gemacht würden.

Sündenbock-Taktik
Menschen sehnen sich nach einfachen Lösungen. Wenn ein Mensch Frustrationen erlebt, was gibt es da einfacheres als einen Sündenbock. Schuld möchte man ohnehin von sich weisen. Wie Alfred Adler treffend sagte: „Schuld sind immer die anderen.“
Es wird also ein Sündenbock präsentiert, der möglicherweise für bestimmte, besonders ins Bewusstsein gerufene Unannehmlichkeiten hinhalten muss, oder für eine sehr allgemeine Menge von Unannehmlichkeiten. Typisch ist dabei, dass die Sündenbock-Taktik verknüpft wird mit dem Hang der Menschen, Ausflüchte für deren Versagen zu suchen. Das ist der Grund, warum Neonazismus bei Schulabbrechern und Arbeitslosen so gut ankommt. Nicht sie sind schuld, dass sie keine Arbeit haben, sondern die Ausländer müssen als Sündenbock hinhalten, weil sie angeblich den Arbeitsplatz weggenommen hätten, den sie sonst bekommen hätten. Und dies – so ihre Behauptung – selbstverständlich auch nur deshalb, weil die Ausländer politisch bevorzugt würden. Andererseits müsste sich hier das Individuum ja noch damit auseinandersetzen, ob der jeweilige Ausländer, der angeblich den Job weggenommen hat, vielleicht besser qualifiziert war. So können sie die unbehagliche Diskussion um die beruflichen Fähigkeiten gleich ganz vermeiden. Auch dieses Denken: „Ich könnte so viel im Leben erreichen, wenn nicht … “ wird in mehrfacher Ausführung in Alfred Adlers Werk „Menschenkenntnis“ beschrieben. Die Sündenbock-Taktik bietet denen, die Mitmachen, eine Müllhalde für deren Frustration. Sie leben dann in der Illusion, dass nach der Ausschaltung des Sündenbocks die große Erlösung auf sie warten würde.
Im Nationalsozialismus mussten die Juden als Sündenböcke hinhalten. Die Deutschen, so dachten die Nazis, würden viel mehr in der Welt gelten, wenn die Juden es ihnen nicht kaputt gemacht hätten. Auf einem Propagandaplakat vom November 1931 heißt es „Wo etwas faul ist, ist der Jude die Ursache“.

Einen Ausnahmezustand ausrufen
Die „Welt der Wunder“ Ausgabe vom November 2016 hatte einen Artikel Namens „Wie manipuliert man ein ganzes Volk? Die verbotenen Erfolgs-Strategien der Nazis … und wie Putin, Erdoğan, Trump & Co. sie heute wieder anwenden“ Dort heißt es zu den bereits im Hitler-Regime bekannten Taktiken: ‚“Der Reichstag brennt“, sagt Goebbels tonlos. […]. [Hitler] will es sehen, sofort. […]. [Er] weiß: Dieser Anschlag vom 28. Februar 1933 ändert alles – er ist ein Freifahrtschein, der ihm weitreichende Möglichkeiten eröffnet, um die demokratische Ordnung vollständig auszuhebeln und all seine Feinde […] aus dem Weg zu räumen. Noch in der Brandnacht werden allein in Berlin 1500 Mitglieder der KPD festgenommen. Nur einen Tag später erlässt Hitler, der gerade einmal seit vier Wochen Reichskanzler ist, eine Notverordnung „Zum Schutz von Volk und Staat“ [Anmerkung: Heute würde man sagen: Zum Schutz der Menschen und des Landes], um den Ausnahmezustand per Gesetz zum Dauerzustand zu machen. Die Grundrechte sind damit außer Kraft gesetzt […].‘
Es wird also ein Ausnahmezustand ausgerufen, um sämtliche sonst geltenden Gegenargumente auszuhebeln, zusätzlich zu der verblendenden Angst, die wir bereits erörtert haben. Vergleiche mit zuvorigen Lösungsansätzen sollen nicht gezogen werden. Diesen Trick gibt es auch in anderen Kontexten wie bspw. im Kontext von Gerichtsverhandlungen. Man spricht auch von „Special Pleading“, also einem Plädoyer, das auf eine Ausnahmesituation hinweist, wo also die übliche rechtliche Würdigung nicht gelten soll und umso mehr Platz ist für weitere Manipulation, weil dem Ratio außerdem die Orientierung an anderen rationalen Urteilen fehlt. Jedoch: eine aufschlussreiche Analogie lässt sich immer finden. Aber wer hat noch nie einen Freund oder einen Partner im Streit sagen gehört „Das ist aber was anderes!“, obwohl es genau das gleiche war?
„Besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen“ war auch eine gängige Argumentation der Nationalsozialisten. Der Satz ist natürlich nicht ganz falsch, allerdings mit großer Vorsicht zu genießen.

False Flag Attacken
Dass der erwähnte Reichstagsbrand ein willkommenes Geschenk der Hitler-Gegner war, welches Hitler diesen Freifahrtschein gab, ist die eine These. Die andere, in Geschichtsforschung sogar vorherrschende These ist, dass das Hitler Regime selbst den Brand gelegt hat; Hitler sich also selbst einen Freifahrtschein ausstellte. Solche Taschenspielertricks werden auch heute gerne vorgeführt, um die Menschen, auf gut Deutsch gesagt, zu verarschen. Um die Sache zu verschleiern werden gerne Nachrichten oder Hinweise gestreut, welche die Tat den eigenen Feinden zuordnen lässt, damit der Freifahrtschein für drakonische Maßnahmen nicht vereitelt werde. Dieses schlechte Benehmen, während der Angeheuerte die Flagge des Feindes trägt, nennt man False Flag Attacken. Die False Flag Attacke kann auch auf argumentativer Ebene geschehen, wenn nämlich jemand, der sich für eine bestimmte gesellschaftliche Gruppierung ausspricht, dies so lächerlich und schlecht macht und die denkbar schlechtesten Argumente in den Vordergrund stellt, dass jeder, der die Nachricht empfängt und noch kein Abschließendes Bild von dieser Gruppierung gemacht hat, schließen muss, dass die Menschen dieser Gruppierung wohl einen an der Klatsche haben müssen. In Wirklichkeit war der Spinner aus genau dem anderen Lager und hat erfolgreich seine Feinde in Verruf gebracht. Weil Menschen mitunter auch manchmal für unvernünftige Gründe die vernünftigen Schlüsse ziehen, bietet auch jeder, den man innerhalb des feindlichen Lagers aufspürt, der sehr schlechte Argumente liefert oder sich schlecht benimmt, eine gute Gelegenheit, das feindliche Lager in Verruf zu bringen. Man muss diesen Menschen nur in den Vordergrund stellen und ihn zum Maskottchen seiner Gruppierung aufblasen. Eine willkommene Geste bei Menschen, die einfache Gründe haben möchte, um ihre Urteile zu fällen. Diese sind dann auf das sogennante Strohmann Argument hereingefallen. Mit der Wiederholung von als typisch dargestellten Eigenschaften der Gegner des Regimes, wird das karikierte Bild zu einem Stereotyp. Anstelle eines Prototypen, also eines auf Erfahrung basierenden typischen Bildes einer bestimmten Gruppierung, herrscht nun das Stereotyp vor, also ein auf Schilderungen von Autoritäten und/oder der Allgemeinheit als typisch behauptetes Bild. Dieses Bild wirkt so stark, dass es die Wahrnehmung des Feinbildung verzerrt, so stark, dass es wieder konform ist mit dem erlernten Stereotyps. Siehe auch: Werth & Mayer, S. 22.

Die Tatsachen verdrehen
Hört sich nicht spezieller an als der ganz normale Zickenkrieg zweier Klassenkameraden, die sich nicht ausstehen können. Aber wie kann ein Regime in professionellem Stil die Tatsachen verdrehen? Stell dir vor es ist ruhig in deiner Nachbarschaft, ein seelenruhiger Tag in einer ruhigen Gegend, die Vögel zwitschern, man hört es leise im Hintergrund. Du siehst deinen Nachbarn aus der Terrassentür herauskommen und er fängt an zu schreien (das folgende kommt alles aus dem Munde deines Nachbarn): „Sei doch mal leise! Was soll dieses Geschrei?! Ist jetzt endlich mal Ruhe?! Du schreist doch hier so rum! Was soll der Lärm? Halt endlich die Klappe! Du bist doch hier so laut.“ Na? Was sagst du zu deinem Nachbarn? Schreist du zurück, dass er doch derjenige sei, der hier so rumschreit? Welchen Sinn hätte das? Diesen Part hat er längst vorweggenommen. Zumal: wie sieht das für einen Außenstehenden aus? Zwei Leute, die beide herumschreien und sich dessen gegenseitig beschuldigen, lachhaft. Was kannst du da noch tun? So ziemlich gar nichts; du bist schachmatt.
Was ist hier passiert? Der Nachbar hat vorweggenommen, was er dir antut. In einer Zeit nach Hitler, wo sich die Menschen geschworen haben, so etwas wie Judenvergasen nie wieder passieren zu lassen, was gäbe es da für jemanden, der nochmals die gleiche Nummer bloß mit anderer Kosmetik durchziehen möchte, genialeres, als seine Gegner von Anfang an als Nazis zu bezeichnen. So als wäre seine Agenda eine antifaschistische Agenda. Zum einen kommt das gut an, weil die Menschen vom Faschismus vorgeschädigt sind. Zweitens wird es dem neuen Faschismus nicht gefährlich, denn die allermeisten Menschen, die das Nazideutschland unserer Geschichte schlecht finden, kennen lediglich die Kosmetik, nicht die psychologischen Prinzipien, die wirkten. Und drittens kommt keiner auf die Idee, dass es genau anders herum ist, dass er der Nazi ist: die Menschen werden verblendet.
„In Rome, they found the smartest Jesuit they had. A brutal butcher sits in Moscow. They form the front, and the Jew is behind them all. That no longer worries us, but we must see what is happening clearly and talk about it openly. Believe me, our enemies in the political confessional churches know that the hocus pocus they show to the world is only a bluff. They bluff anyway, and it depends on whether they can find enough idiots to believe them.“ hieß es in einer (Übersetzung einer) Rede von Dr. Robert Ley „Wir oder die Juden.“, so als wären es die Feinde der Nationalsozialisten, die bluffen und täuschen. Es waren die Nazis, die sagten, sie würden „keine Sekunde“ zweifeln, „dass Deutschland siegt“. Und es waren selbstverständlich die Nazis, die das Volk täuschten und manipulierten.

Vielen Dank an: Krysztof Niewolny, Joel Muniz, Scott Rodgerson, Norbert Buduczki und Gayatri Malhotra für deren Bilder auf freier Lizenz, die ich retouchiert und beschriftet habe für die fiktive Willkürherrschaft mit den Giftspinnen. Die Bilder habe ich alle auf Unsplash.com gefunden, vielen Dank an der Stelle auch an Unsplash.com.